martes, 1 de agosto de 2017

WAS BEDEUTETE "MEHRSPRACHIGKEIT"?



In den letzten Jahren hat das Konzept der Mehrsprachigkeit im Ansatz des Europarats zum Sprachenlernen an Bedeutung gewonnen. 'Mehrsprachigkeit' unterscheidet sich von 'Vielsprachigkeit', also der Kenntnis einer Anzahl von Sprachen, oder der Koexistenz verschiedener Sprachen in einer bestimmten Gesellschaft. Vielsprachigkeit kann man erreichen, indem man einfach das Sprachenangebot in einer Schule oder in einem Bildungssystem vielfältig gestaltet, oder indem man Schüler dazu anhält, mehr als eine Sprache zu lernen, oder indem man die dominante Stellung des Englischen in internationaler Kommunikation beschränkt. Mehrsprachigkeit jedoch betont die Tatsache, dass sich die Spracherfahrung eines Menschen in seinen kulturellen Kontexten erweitert, von der Sprache im Elternhaus über die Sprache der ganzen Gesellschaft bis zu den Sprachen anderer Völker (die er entweder in der Schule oder auf der Universität lernt oder durch direkte Erfahrung erwirbt). Diese Sprachen und Kulturen werden aber nicht in strikt voneinander getrennten mentalen Bereichen gespeichert, sondern bilden vielmehr gemeinsam eine kommunikative Kompetenz, zu der alle Sprachkenntnisse und Spracherfahrungen beitragen und in der die Sprachen miteinander in Beziehung stehen und interagieren. In verschiedenen Situationen können Menschen flexibel auf verschiedene Teile dieser Kompetenz zurückgreifen, um eine effektive Kommunikation mit einem bestimmten Gesprächspartner zu erreichen. Zum Beispiel können Gesprächspartner von einer Sprache oder einem Dialekt zu einer oder einem anderen wechseln und dadurch alle Möglichkeiten der jeweiligen Sprache oder Varietät ausschöpfen, indem sie sich z. B. in einer Sprache ausdrücken und den Partner in der anderen verstehen. Man kann auch auf die Kenntnis mehrerer Sprachen zurückgreifen, um den Sinn eines geschriebenen oder gesprochenen Textes zu verstehen, der in einer eigentlich 'unbekannten' Sprache verfasst wurde; dabei erkennt man zum Beispiel Wörter aus einem Vorrat an Internationalismen, die hier nur in neuer Gestalt auftreten. Jemand mit - wenn vielleicht auch nur geringen - Sprachkenntnissen kann diese benutzen, um anderen, die über gar keine verfügen, bei der Kommunikation zu helfen, indem er zwischen den Gesprächspartnern ohne gemeinsame Sprache sprachmittelnd aktiv wird. Auch wenn kein Sprachmittler zur Verfügung steht, können solche Menschen trotzdem bis zu einem gewissen Grad kommunizieren, indem sie ihren ganzen Vorrat an linguistischem Wissen ins Spiel bringen und mit alternativen Formen des Ausdrucks in verschiedenen Sprachen oder Dialekten experimentieren und dabei paralinguistische Mittel nutzen (Mimik, Gestik, Gesichtsausdruck usw.) und ihre Sprache radikal vereinfachen.
Aus dieser Perspektive ändert sich das Ziel des Sprachunterrichts ganz grundsätzlich. Man kann es nicht mehr in der Beherrschung einer, zweier oder vielleicht dreier Sprachen sehen, wobei jede isoliert gelernt und dabei der 'ideale Muttersprachler' als höchstes Vorbild betrachtet wird. Vielmehr liegt das Ziel darin, ein sprachliches Repertoire zu entwickeln, in dem alle sprachlichen Fähigkeiten ihren Platz haben. Dies impliziert natürlich, dass das Sprachenangebot der Bildungseinrichtungen diversifiziert wird und dass die Lernenden die Möglichkeit erhalten, eine mehrsprachige Kompetenz zu entwickeln. Wenn man darüber hinaus anerkennt, dass Sprachenlernen eine lebenslange Aufgabe ist, wird es besonders wichtig, die Motivation und die Fähigkeiten, aber auch das Selbstvertrauen junger Menschen zu fördern, sich auch außerhalb der Schule neuen Spracherfahrungen zu stellen. Die Verantwortlichkeit der Bildungsbehörden und der Prüfungsanbieter, die Qualifikationen feststellen, sowie der Lehrenden kann sich nicht darin erschöpfen, für das Erreichen eines bestimmten Kompetenzniveaus in einer bestimmten Sprache zu einem bestimmten Zeitpunkt zu sorgen - so wichtig das zweifellos ist.
Welche Implikationen dieser Paradigmenwechsel letztlich hat, muss noch genauer herausgearbeitet und in praktisches Handeln übertragen werden. Die jüngsten Entwicklungen im Sprachenprogramm des Europarats wurden so angelegt, dass sie allen Angehörigen der Sprachlehrberufe Handwerkszeug zur Förderung der Mehrsprachigkeit zur Verfügung stellen. Besonders das Europäische Sprachenportfolio (ESP) bietet eine Form an, in der höchst unterschiedliche Arten des Sprachenlernens und der interkulturellen Erfahrungen dokumentiert und formell anerkannt werden können. Zu diesem Zweck bietet der Referenzrahmen nicht nur Skalen für die allgemeine Beherrschung einer bestimmten Sprache an, sondern auch eine Aufteilung in spezifische Kategorien der Sprachverwendung und der Sprachkompetenz, was es Praktikern erleichtert, Lernziele zu spezifizieren und Lernerfolge in den unterschiedlichsten Bereichen zu beschreiben, und zwar in Übereinstimmung mit den wechselnden Bedürfnissen, den persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen und den Lernbedingungen der Lernenden.